"Ein weiterer Meilenstein in der Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik für Thüringen"

Meine Rede im Plenum des Thüringer Landtages zum Gesetz zur Änderung des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes (ThürKJHAG):

 

Sehr geehrter Frau Präsidentin,

liebe Besucher*innen,

liebe Zuhörer*innen am Live-Stream,

liebe Kolleg*innen,

der Landtag hat sich mit Beschluss vom September letzten Jahres zur „Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik für Thüringen“ bekannt. Ein Schwerpunkt bildet hierbei die Stärkung und die Ausweitung der Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte von Kindern und jungen Menschen. Denn wir Koalitionsfraktionen verstehen die Belange Jugendlicher als politische Gesamtaufgabe, die sich durch alle Ressorts und Verwaltungsebenen zieht, wobei möglichst alle Beteiligten an einen Tisch geholt werden sollen. Wir wollen nicht mehr nur über sondern endlich mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen, ihre Meinung hören und diese in Entscheidungsprozesse auch einbinden.

Der nun heute zu verabschiedende Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetzes hat daher selbst bereits einen breiten Beteiligungsprozess erfahren. Nachdem wir diesen hier im Plenum vergangenen August diskutierten, folgten sowohl eine schriftliche als auch eine mündliche Anhörung aller Beteiligter. Zudem war es allen Betroffen in einer Online-Anhörung im Diskussionsforum des Thüringer Landtags möglich, Kritik und Anregungen zu äußern. Wir jugendpolitischen Sprecherinnen der Koalitionsfraktionen diskutierten außerdem den Gesetzentwurf mit dem Landesvorstand des Landesjugendringes Thüringen und im vergangenen Dezember auch mit dem Landesjugendhilfeausschuss. Auf unserer zweiten Fachtagung „Fokus Jugend II“ zu Beginn dieses Jahres waren außerdem Jugendliche und in der Jugendhilfe Tätige eingeladen, mit uns über die Gesetzesnovelle zu diskutieren.

Und ich möchte mich an dieser Stelle für alle die konstruktiven Hinweise, Anregungen und Verbesserungsvorschläge bedanken, die uns in dieser Zeit zugetragen wurden. Nur dadurch ist es uns gelungen unseren Gesetzentwurf zu präzisieren und abzurunden. So dass ich guten Gewissens sagen kann: „Heute stärken wir nicht nur die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen, sondern setzen auch einen weiteren Meilenstein in der Entwicklung einer eigenständigen Jugendpolitik in Thüringen!“.

Nicht alle Vorschläge und Anregungen ließen sich allerdings in das ThürKJHAG (also im Thüringer Kinder- und Jugendhilfe-Ausführungsgesetz) aufnehmen. Deshalb haben wir uns entschlossen diese in einen begleitenden Entschließungsantrag zu fassen. Schließlich ist unser Ziel eine jugendgerechte Politik, die ressortübergreifend positive Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen aller Kinder und Jugendlichen in Thüringen schafft.

Der nun heute zu verabschiedende Gesetzentwurf sowie der Entschließungsantrag sehen dazu insbesondere folgende Neuregelungen vor:
1. die Verbesserung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte junger Menschen,

2. die gesetzliche Verankerung der Örtlichen Jugendförderung,

3. die Stärkung der Jugendverbandsarbeit,

4. die gesetzliche Verankerung der Schulsozialarbeit,

5. die Einführung eines regelmäßigen Berichtes über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen,

6. einen Jugendcheck für Thüringen zu entwickeln,

7. ein Modellprojekt „Beschwerde und Ombudschaft für Kinder und Jugendliche in Thüringen“ zu schaffen

8. die Anerkennung des Ehrenamtes zu erhöhen.

 

1. Verbesserung der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte junger Menschen

Kinder und Jugendliche sind sowohl nach den UN-Kinderrechten als auch nach dem SGB VIII an allen sie betreffenden Angelegenheiten und Entscheidungen zu beteiligen. Um dieses Recht weiterhin umzusetzen und auszubauen, wollen wir die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in den kommunalen Jugendhilfeausschüssen und im Landesjugendausschuss festschreiben. Außerdem konkretisieren wir die Beteiligungsrechte der Kinder und Jugendlichen im Bereich der Jugendhilfeplanung und stärken diese.

Denn gerade Beteiligung ist jungen Menschen enorm wichtig. Über die Hälfte der Kinder in Thüringen würde gern an Entscheidungen - z. B. auf Ebene ihrer Gemeinde - mitreden. Aber mehr als die Hälfte der Kinder glaubt nicht, dass ihre Meinung ernst genommen wird. Dabei steht gerade die Einschätzung, dass die eigene Stimme Gehör findet in engem Zusammenhang mit dem Wohlbefinden. So berichtet das das LBS-Kinderbarometer immer wieder, dass Kinder und Jugendliche, welche der Auffassung sind, dass ihre Meinungen ernst genommen wird, sich wohler fühlen als Kinder, die nicht dieser Ansicht sind.

Die Studie „Kinderbeiräte in Stiftungen“ von 2013 zeigte klar, dass Kinder und Jugendliche, die in Entscheidungsprozesse eingebunden wurden, sich auch später in der Gesellschaft aktiv beteiligen. Ebenso ist der Deutsche Kinderschutzbund der Auffassung, dass „Partizipation ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Demokratie ist.“

In diesem Sinne erfordert das Aufwachsen in einer demokratischen Gesellschaft eine möglichst frühe und umfassende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Planungen, Maßnahmen und Entscheidungen. Diese Selbstwirksamkeitserfahrung hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung, hierdurch ergibt sich auch die Chance bislang nicht beachtete Aspekte einer Maßnahme oder Entscheidung überhaupt erst einmal zu bemerken und zu analysieren.

Wir wollen daher die Mitbestimmung von jungen Menschen in Thüringen weiter stärken. Dafür werden wir auch bis 2020 eine überörtliche Servicestelle „Mitbestimmung“ einrichten. Diese wird Kommunen und junge Menschen bei der Umsetzung von Beteiligungsprozessen beraten, begleiten und unterstützen.

Außerdem ebnen wir den Weg für ein landesweites Jugendmitbestimmungsgremium in Thüringen und geben damit der jungen Generation die Chance, ihre eigene Interessenvertretung auf Landeseben zu etablieren.

 

2. Gesetzliche Verankerung der Örtlichen Jugendförderung

Mit der gesetzlichen Verankerung des Förderprogrammes „Örtliche Jugendförderung“ – kurz auch „Jugendpauschale“ genannt – erhalten nicht nur die Landkreise und kreisfreien Städte eine höhere Planungssicherheit, auch für Fachkräfte und junge Menschen ergibt sich dadurch mehr Verlässlichkeit und Kontinuität.

Zweck der „Örtlichen Jugendförderung“ ist die Unterstützung der örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Erfüllung ihrer bestehenden Aufgaben in den Bereichen Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit, Jugendsozialarbeit und Kinder- und Jugendschutz sowie im Bereich der ambulanten Maßnahmen für straffällige junge Menschen.

Mittels der Örtlichen Jugendförderung werden überwiegend Personalausgaben finanziert. Die gesetzliche Verankerung ist demnach auch ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit der Arbeitnehmer*innen in diesem Bereich. Denn mit der gesetzlichen Verankerung gibt es keinen Grund mehr, Arbeitsverträge der Fachkräfte zeitlich an die Laufzeit der Richtlinie zu binden.

Wir alle wissen, dass Befristung gute Arbeit verhindert: Denn befristet Beschäftigte schleppen sich öfter krank zur Arbeit, nehmen seltener Urlaub und überfordern sich häufiger.  Befristungen schaffen Unsicherheit und erschweren eine verlässliche Lebensplanung. Ängste um die berufliche Zukunft sind daher bei Befristeten doppelt so stark verbreitet wie bei Unbefristeten. Gute Arbeit kann daher nur unbefristet sein!

 

3. Stärkung der Jugendverbandsarbeit

Wir stärken außerdem die Jugendverbandsarbeit und deren freiwillige Zusammenschlüsse und würdigen damit auch das große ehrenamtliche Engagement junger Menschen, was damit einhergeht. Wir Koalitionsfraktionen messen den Jugendverbänden und ihren freiwilligen Zusammenschlüssen eine besondere Bedeutung in der Jugendhilfelandschaft bei. Denn sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Jugendverbände regen Kinder und Jugendliche zur Selbstbestimmung an, fördern gesellschaftliche Mitverantwortung sowie soziales Engagement. Jugendverbandsarbeit ist mehr als bloße Freizeitbeschäftigung: Sie ist eine grundlegende Orientierungshilfe in der Lebenswirklichkeit von Kindern und Jugendlichen.

Als Zusammenschlüsse von Heranwachsenden mischen die Jugendverbände sich außerdem in politische Prozesse ein und vertreten die Anliegen der jungen Generation. Jugendverbandsarbeit ist somit der Motor einer mitwirkungsorientierten Eigenständigen Jugendpolitik.

 

4. Gesetzliche Verankerung der Schulsozialarbeit

Weiterhin stärken wir die schulbezogene Jugendsozialarbeit an Thüringer Schulen als eine besondere Form der Jugendsozialarbeit. Denn durch die schulbezogene Jugendsozialarbeit wird die Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule verwirklicht. Die Schulsozialarbeit dient der individuellen und sozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen, indem diese - über das schulische Angebot hinaus – ihre Fähigkeiten entfalten können, Anerkennung erfahren und soziale Prozesse gestalten können.

Soziale Benachteiligungen, individuelle Beeinträchtigungen und strukturelle Nachteile werden durch die Schulsozialarbeit abgebaut, indem Ausgrenzung und Risiken des Scheiterns entgegengewirkt wird. Durch sie werden junge Menschen zur Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen befähigt.

Mit der gesetzlichen Verankerung der schulbezogene Jugendsozialarbeit schaffen wir auch hier nicht nur mehr Planungssicherheit für die Landkreise und kreisfreien Städte, auch für die Sozialarbeiter*innen und Schüler*innen ergibt sich mehr Verlässlichkeit und Kontinuität. Dies ist nicht nur ein wichtiger Schritt hin zu guter Arbeit, sondern auch die Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe im Sinne einer ressortübergreifenden Eigenständigen Jugendpolitik.

 

5. Einführung eines regelmäßigen Berichtes über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen

Als Umsetzung des Beschlusses des Thüringer Landtages vom September 2017 zur „Eigenständigen Jugendpolitik“ haben wir nun ebenfalls die Erstellung eines Berichtes über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen gesetzlich verankert. Beginnend ab dieser Legislaturperiode soll künftig alle fünf Jahre ein Bericht über die Lebenslagen junger Menschen in Thüringen erstellt werden, natürlich unter Beteiligung junger Menschen. Dieser soll eine Darstellung über die Lebenssituation junger Menschen in Thüringen sowie die wichtigsten Entwicklungstendenzen der Jugendhilfe enthalten. Ziel der Berichterstellung ist es, fundierte Kenntnisse als Planungsrundlage weiterer jugendpolitischer und sozialer Maßnahmen zu erhalten.

 

6. Jugendcheck

Die Belange junger Menschen sind aber bei allen Gesetzesvorhaben und Gestaltungsprozessen unserer Gesellschaft zu berücksichtigen und mitzudenken. Daher werden wir ein Konzept zur Umsetzung eines Jugend-Checks für Thüringen entwickeln.

Der Jugend-Check ist ein Prüf- und Sensibilisierungsinstrument, welches die Auswirkungen geplanter Gesetzesvorhaben auf junge Menschen sichtbar macht. Die möglichen Auswirkungen – also beabsichtigte Wirkungen sowie nicht beabsichtigte Nebenwirkungen - einzelner Vorhaben und Gesetze auf die Lebenslagen junger Menschen werden dadurch erfasst und aufgezeigt.

Auch wenn wir Jugendliche am Jugend-Check direkt beteiligen wollen, so ist dieser natürlich kein Ersatz für jugendpolitische Beteiligung. Wir möchten  damit  jugendpolitische Beteiligungsprozesse nicht infrage stellen, sondern ergänzen. Der Jugend-Check dient der Information und Sensibilisierung politischer Entscheidungsträger*innen, damit Auswirkungen auf junge Menschen in Gesetzgebungsprozessen und öffentlichen Debatten im Blick behalten werden. Denn wir wollen sowohl die gesellschaftliche als auch die politische Aufmerksamkeit für die Lebenslagen und Belange junger Menschen steigern.

 

7. Ombudsstelle

Damit Kinder und Jugendliche ihre Rechte besser kennen lernen und auch dauerhaft wahrnehmen können, werden wir ein Modellprojekt „Beschwerde und Ombudschaft für Kinder und Jugendliche in Thüringen“ initiieren. Kinder und Jugendliche erhalten dadurch die Möglichkeit, sich niedrigschwellig an eine unabhängige Institution zu wenden, welche bei Problemen einen Klärungs- und Vermittlungsprozess gestaltet.

Ziel ist es junge Menschen über ihre Rechte zu informieren sowie in der Sicherstellung ihrer Rechte zu unterstützen. Theoretischer Ausgangspunkt der Ombudschaften ist die Machtungleichheit zwischen jungen Menschen sowie den Institutionen. Ombudschaftliches Engagement zielt deshalb darauf ab, diese Asymmetrie mit den zur Verfügung stehenden fachlichen – und notfalls auch juristischen – Beratungsmöglichkeiten auszugleichen. Außerdem wird die Ombudstelle insbesondere Fachkräfte und Einrichtungen für die Kinderrechte sensibilisieren  und bei der Verbesserung von Beteiligungs- und Beschwerdestrukturen unterstützen.

Wir wollen durch dieses Modellvorhaben überprüfen, ob eine solche  Struktur angenommen wird und die beabsichtigten Ziele – Information, Unterstützung und Vermittlung – auch erreicht werden. Sollte sich das Modellvorhaben bewähren, werden wir natürlich die Struktur dauerhaft etablieren und das Landesgesetz dementsprechend ergänzen. 

 

8. Anerkennung Ehrenamt

Last but not least, werden wir das Ehrenamt anerkennen, fördern und würdigen. Denn Ehrenamtliches Engagement ist von größter zivilgesellschaftlicher Bedeutung. Menschen engagieren sich am häufigsten in Vereinen und Verbänden. Gerade in Jugendverbänden als Werkstätten der Demokratie nimmt das Ehrenamt eine grundlegende Rolle ein. Sowohl für Kinder- und Jugendgruppen, als auch für die Persönlichkeitsentwicklung ist ehrenamtliches Engagement von unschätzbarem Wert. Ehrenamtliche leiten Gruppen, Ferienfreizeiten, Seminare sowie Fortbildungen und sind kontinuierlich in Gremien sowie Vorstandsämtern aktiv.

Gerade wegen dieser Selbstverständlichkeit gilt es, diese beständig unter hohem persönlichem Einsatz geschehenden Aktivitäten besonders zu würdigen und zu unterstützen. Als ein Grundpfeiler der Demokratie und als Beitrag für eine soziale, funktionierende Zivilgesellschaft muss sich dies auch in der öffentlichen Anerkennung wiederfinden. Wir wollen daher sowohl die Attraktivität als auch die Anerkennung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit  erhöhen. Vor allem die bisherigen Freistellungsregelungen werden wir deshalb überprüfen und verbessern.

 

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich sagen: Rot-Rot-Grün stärkt mit diesem Gesetzentwurf und mit diesem Entschließungsantrag die Mitbestimmungsrechte von Kindern und Jugendlichen. Denn insbesondere die Beteiligung junger Menschen braucht Ernsthaftigkeit durch gesetzlich verbriefte Rechte und verlässliche Strukturen sowie Kontinuität bei den Angeboten der Jugendarbeit und der politischen Jugendbildung. In diesem Sinne ist dieser Gesetzentwurf die Grundlage für eine eigenständige Jugendpolitik in Thüringen. Wir sichern die Jugend- und die Schulsozialarbeit langfristig und schaffen für alle Beteiligten endlich Planungssicherheit sowie Bedingungen für gute Arbeit in der Kinder- und Jugendhilfe

Im Sinne aller Thüringer Kinder und Jugendlichen sowie der in der Jugendhilfe Tätigen bitte ich Sie daher heute diesem Gesetzentwurf und dem dazugehörigen Entschließungsantrag zuzustimmen.

Vielen Dank.