„Kinder werden nicht erst zu Menschen - sie sind bereits welche"

Kati GrundAktuellAufmacherKati Engel

Meine Rede zur aktuellen Stunde im Landtag

„Kinder werden nicht erst zu Menschen - sie sind bereits welche", so sagte es der polnischen Kinderarzt, Autor und Pädagoge, Janusz Korczak. Auch wenn dieses Zitat uns heute als selbstverständlich erscheint, so war es noch vor 100 Jahren ein grundlegend reformierender Denkansatz. Denn bis in die Neuzeit hinein - und wie wir sehen, bei der AfD bis in die Gegenwart – galten Kinder als Besitz ihrer Eltern. Diese bestimmten über ihr Leben, ihre Ausbildung und ihre Arbeitskraft. Das Kind schuldete ihnen unbedingten Gehorsam. Erst im Zeitalter der Aufklärung, im Zusammenhang mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaften, entstand der Gedanke, dass die Kindheit eine besondere Lebensspanne darstellt und dass Kinder eigene Rechte haben.

Die Grundlage für die heutigen Kinderrechte formulierte 1919 Janusz Korczak in seinem pädagogischen Hauptwerk „Wie liebt man ein Kind“. Mit seinen Grundrechten des Kindes beschreibt er, dass die Kinder im Verhältnis zu ihren Erzieher*innen eine eigenständige Stellung haben und der Umgang mit ihnen im Dialog auf gleicher Augenhöhe stattfinden muss.

 

UN-Kinderrechte

Korczaks Idee aufgreifend entwickelte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die sogenannte „UN-Kinderrechtskonvention“. Diese wurde vor fast genau 30 Jahre - am 20. November 1989 verabschiedet. In 54 Paragraphen werden darin die bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte des Kindes beschrieben. Inzwischen haben alle Staaten der Welt dieses Übereinkommen unterzeichnet und alle  (bis auf die  USA) haben es auch ratifiziert.

Durch diese Kinderrechte hat sich unsere Sicht auf Kinder verändert. Kinder werden heutzutage von Geburt an als eigenständige Subjekte mit spezifischen Bedürfnissen und Kompetenzen wahrgenommen. Kinder sind nicht mehr das Anhängsel ihrer Eltern und somit bloß ein Objekte, sondern sie sind eigenständige Rechtssubjekte und somit auch Träger eigener Rechte.

Das Verhältnis von Erwachsenen zu Kindern wurde dadurch einem tiefgreifenden Wandel unterworfen: An die Stelle der Unterordnung des Kindes unter den Willen und die Macht der Eltern tritt eine Beziehung auf Basis gleicher Grundrechte, in der die Würde und die Rechte des Kindes neben denen der Erwachsenen einen selbstverständlichen Platz einnehmen. Aus diesem Perspektivwechsel folgt jedoch nicht, dass bestehende Unterschiede zwischen Erwachsenen und Kindern aufgehoben werden: Kinder sind eben keine kleinen Erwachsenen. Aufgrund ihrer sich entwickelnden körperlichen und geistigen Fähigkeiten brauchen Kinder ein Recht auf Kindheit, auf einen Schon- und Spielraum, in dem ihre Verantwortlichkeit in Ruhe wachsen und eingeübt werden kann.

 

Aufnahme Kinderrechte ins Grundgesetz

Deutschland hat sich damals als Vertragsstaat der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet (ich zitiere) „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte“ zu treffen. Und hierzu gehört auch die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz. Der Ausschuss der Vereinten Nationen für die Rechte des Kindes hat bereits wiederholt angemahnt (ich zitiere) „nach wie vor beunruhigt (zu sein), dass das Übereinkommen bislang noch nicht im Grundgesetz verankert ist“. Durch eine verfassungsrechtliche Verankerung der Rechte des Kindes – insbesondere des Rechtes auf Schutz, Förderung und Beteiligung sowie eines bereichsübergreifenden Kindeswohlvorrangs - käme Deutschland also endlich dieser Aufforderung des UN-Ausschusses nach.

Hinzu kommt, dass in Deutschland das Grundgesetz eine zentrale Rolle einnimmt. Nicht nur für die Gerichte und die Politik, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes ist das Grundgesetz sowas wie eine gemeinsame Hausordnung. Wenn also Kinder in einer solchen grundlegenden Vereinbarung nicht vorkommen – oder eben wie es im Grundgesetz der Fall ist nur im Zusammenhang mit der Erziehung durch die Eltern erwähnt werden –dann schließen wir einen großen Teil der Gesellschaft aus. Die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz, würde also nicht nur die Rechtsposition der Kinder in Deutschland stärken, sondern es wäre auch Ausdruck einer Wertung von Kindern als Teil unserer Gesellschaft - als eigenständige Persönlichkeiten mit eigener Würde.

 

Elternrecht

Die Rechte der Kinder stehen dabei nicht – wie von der AfD-Fraktion suggeriert – im Widerspruch zu den Rechten der Eltern und Erziehungsberechtigten. Im Übrigen ist das in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz verbürgte Elternrecht („Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“) das einzige Grundrecht, das als fremdnütziges Recht ausschließlich zugunsten eines Dritten, nämlich des Kindes, ausgeübt werden darf. Das Elternrecht ist also ausschließlich als pflichtgebundenes, treuhänderisches Recht zu verstehen, das seine Grenze am Wohl des Kindes findet.

Elternrecht heißt daher vor allem Elternverantwortung. Diese Verantwortung beinhaltet auch das Recht und die Pflicht der Eltern, so wie es in Art. 5 UN-KRK festgehalten ist (ich zitiere):  „das Kind bei der Ausübung [seiner] anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen“.

 

Janusz Korczak

Selbst der Vater der Kinderrechte, Janusz Korczak, war sich als Leiter eines Waisenhauses dieser ihm obliegenden Pflicht und Verantwortung bewusst. Korczak leitete ein jüdisches Waisenhaus im Warschauer Gettho. Im August 1942 wurden die etwa 200 Kinder dieses Waisenhauses von der SS zum Abtransport in das Vernichtungslager Treblinka abgeholt. Obwohl Korczak wusste, was dies bedeutete, bestand er darauf, seine Kinder zu begleiten.

Ein Augenzeuge berichtete, dass er seinen Kindern erzählt habe, dass sie aufs Land fahren. Korczak habe angeordnete, sich festtäglich zu kleiden. Hübsch herausgeputzt und stolz, traten sie paarweise ihren Marsch zum Zug an. Ein zwölfjähriger Junge, der eine Geige hatte, habe musiziert. Die Kinder hätten im Chor gesungen und „Korczak trug zwei der Kleinsten, die ebenfalls lächelten, auf dem Arm und erzählte ihnen etwas Lustiges". Die Beschreibung endet mit folgender Vorstellung: "Bestimmt hat der 'Alte Doktor' noch in der Gaskammer, als das Zyklon schon die kindlichen Kehlen würgte und in den Herzen der Waisen Angst an die Stelle von Freude und Hoffnung trat, mit letzter Anstrengung geflüstert: 'Nichts, das ist nichts, Kinder', um wenigstens seinen kleinen Zöglingen den Schrecken des Übergangs vom Leben in den Tod zu ersparen."

Das war vor über 75 Jahren. Was bleibt ist Janusz Korczaks Bild vom Kind als Mensch mit einer Würde. Und was bleibt ist unter anderem ein Zitat, was eigentlich alles zu dieser Aktuellen Stunde beinhaltet, was es zu sagen gibt:

 „Je niedriger das geistige Niveau, je farbloser das moralische Antlitz, je größer die Sorge um die eigene Ruhe und Bequemlichkeit ist, desto mehr Weisungen und Verbote gibt es, die nur scheinbar von der Sorge um die Kinder diktiert werden.“