"Gelingt es nicht, die Qualität der Berufsausbildung zu verbessern, so nützt auch die schönste Imagekampagne nichts"
Rede zur Situation der dualen Ausbildung und Berufsorientierung im Plenum des Thüringer Landtages
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Besucher*innen,
liebe Zuhörer*innen am Live-Stream,
liebe Kolleg*innen,
wer heute in Thüringen eine Ausbildung anfangen will, und sich erst jetzt dazu entscheidet, hat immer noch eine riesige Auswahl an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung:
- Berufskraftfahrer*in,
- Elektriker*in für Informationstechnik,
- Stahl- und Betonbauer*in,
- Elektroniker*in für Betriebstechnik,
- Kaufmann/Kauffrau im Groß- und Einzelhandel oder für Versicherung und -Finanzen,
- Gesundheits- und Krankenpfleger*in,
- Fachkraft für Lagerlogistik,
- Fachkraft für Handel und Vertrieb,
- Mechatroniker*in,
- Bäcker*in,
- Fleischer*in,
- Industriekaufmann/-kauffrau,
- Mikrotechnolog*in,
- Trockenbaumonteur*in,
- Maler*in und Lackierer*in
- und staatliche Erzieher*in
–> dies sind alles Berufe, in denen allein im Raum Erfurt heute noch Ausbildungsplätze frei sind - wo also junge Menschen sofort einsteigen könnten.
Wie bereits 2015 und 2016 sind auch dieses Jahr am Ende des Sommers noch rund 6.000 Ausbildungsplätze in Thüringen unbesetzt. In vielen Branchen gibt es durch diese Entwicklung bereits einen erheblichen Mangel an beruflichen Nachwuchskräften. Und ja, ein Ergebnis dieser Situation ist, dass die Neigung von Betrieben auszubilden, weiter zurückgeht. Das ist ein ernstes Problem: Denn an dieser Stelle ist die Zukunft des dualen Systems direkt betroffen. Insofern ist das Thema, das die CDU mit ihrem Antrag anspricht, durchaus wichtig und aktuell.
Berufsorientierung an Gymnasien
Dennoch halten wir, als Fraktion DIE LINKE, den Antrag der CDU für nicht weitgehend genug. Denn er bezieht sich vor allem auf die Berufsorientierung an Gymnasien. Dies ist vermutlich der Tatsache geschuldet, dass immer mehr junge Menschen ein Studium einer dualen Berufsausbildung vorziehen. Unserer Ansicht nach liegt das jedoch nicht allein an mangelnder Information über die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung.
Junge Menschen haben nämlich durchaus gute Gründe, wenn sie sich für ein Studium entscheiden. So sind z. B. noch immer Menschen mit einer akademischen Ausbildung seltener von Arbeitslosigkeit betroffen als Menschen mit einem Abschluss einer dualen Berufsausbildung. Außerdem erscheint vielen jungen Menschen die Studienzeit attraktiver als Ausbildungsjahre. Denn viele Auszubildende sehen sich unverändert mit großen Belastungen konfrontiert. Und natürlich spricht sich das rum. Denn auch junge Menschen reden mit ihrem Freundes- und Bekanntenkreis über schlechte Arbeitsbedingungen, Überstunden, fachlich ungenügende Anleitung, eine unterdurchschnittliche Ausbildungsvergütung und das Gefühl, als billige Arbeitskraft ausgenutzt zu werden.
Die duale Berufsausbildung würde dadurch attraktiver werden, dass es selbstverständlich wird gute, tarifliche Vergütung zu zahlen und betriebliche Mitbestimmung durch Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen zu gewährleisten. Das spricht Jugendliche an. Und so können Ausbildungsstellen auch besetzt werden.
Dies bestätigt auch immer wieder der Ausbildungsreport,welcher jährlich von der DGB-Jugend herausgegebenenwird. So wird jedes Jahr festgestellt, dass Auszubildende z. B. in Betrieben mit betrieblicher Mitbestimmung viel zufriedener mit ihrer Ausbildung sind.
Gelingt es uns also nicht, die Berufsausbildung massiv qualitativ zu verbessern, die Tarifbindung der Thüringer Betriebe signifikant zu erhöhen und Mitbestimmung weiter flächendeckend zu verankern, so nützt uns auch die schönste Imagekampagne nichts.
Rolle der Kammern
Letztendlich muss es wirksamere Kontrollen zur Überwachung der Ausbildungsqualität geben. Verstöße und die Nichteinhaltung gesetzlicher Regelungen und Verordnungen sind nämlich keine Kavaliersdelikte. Es ist Aufgabe der Kammern dafür Sorge zu tragen, dass vor Ort die festgelegten Standards auch eingehalten werden.
Doch gerade hier besteht ein zentrales Problem: Auf der einen Seite sind sie für die Kontrolle der Ausbildung zuständig – Auf der anderen Seite sind sie ein arbeitgeberfinanzierter Interessenverband. Diese Doppelstruktur führt häufig dazu, dass sie der Kontrolle der Ausbildung nur unzureichend nachkommen und wenn Missstände aufgedeckt werden, dann meistens ohne Sanktionen.
Und hier liegt der Fehler im System: die Kammern sind gezwungen ihre zahlenden Mitglieder zu sanktionieren. Das kann ja gar nicht funktionieren! Unabhängige Kontrollinstanzen könnten da ein Ausweg sein. Denn Auszubildende brauchen eine Beschwerdestelle, der sie auch vertrauen. Es bedarf eines Beschwerdemanagements, das die Auszubildenden tatsächlich in ihren Problemen ernst nimmt, ihnen Schutz gewährt und für sie leicht zugänglich ist.
Nicht umsonst fordern die Gewerkschaften schon lange eine Reform des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) um die Qualität der Berufsausbildung zu verbessern und somit attraktiver zu machen. Doch Novellierungs- und Reformversuche wurden bisher seitens der CDU-Fraktion im Bundestag blockiert und zurückgewiesen.
Jugendliche ohne Schulabschluss als vordringliche Problemlage
Davon jetzt einmal abgesehen, gibt es immer noch hunderte Jugendliche, die den Einstieg in eine berufliche Ausbildung gar nicht erst schaffen. Wir haben – wie viele andere Bundesländer auch – einen hohen Sockel an jungen Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, und von denen die wenigsten nach dem Verlassen der Schule einen Weg in eine berufliche Zukunft finden.
Und trotz aller demografischen Probleme ist diese Zahl der Jugendlichen in den letzten Jahren kaum zurückgegangen. Die Ursachen dafür sind so vielfältig wie die Menschen: problematische Familiensituationen, gesundheitlichen Einschränkungen, eine Reihe unterschiedlicher Belastungen, denen die jungen Menschen ausgesetzt sind und bei denen sie Unterstützung brauchen:
- gesundheitliche Unterstützung,
- sozialpädagogische Unterstützung
- oder manchmal auch einfach nur konzentrierte Nachhilfe, um eine Prüfung zu bestehen.
Auch wenn es vielleicht möglich sein sollte, einen Teil der jungen Menschen, die sich aufs Studium orientieren für den dualen Bereich zurückzugewinnen, so ist es aus Sicht der Linksfraktion dringlicher, besonders auf die Jugendlichen mit Problemlagen zu schauen und hier neue, bessere Wege zu finden.
Die Erfahrungen aus anderen Bundesländern, wie z.B. aus Hamburg, zeigen, dass man mit kooperativen Ansätzen, die die Unterstützungsmöglichkeiten der verschiedenen Systeme koppeln, weiterkommt. Manches ist hier bereits in Bewegung. Es ist daher gut, diesen Stand zu bilanzieren und über die Dinge zu reden, die als nächste getan werden müssen.
Berufsorientierung
Ich möchte noch einmal auf zwei Themen, die in diesem Zusammenhang wichtig sind, insbesondere eingehen: die Berufsorientierung an den Schulen und die begleitenden Hilfen beim Übergang von der Schule in die Ausbildung.
Im Sommer 2016 hat die, von Bundes- und Landesregierung gemeinsam unterzeichnete, Vereinbarung „Abschluss und Anschluss“ (Initiative Bildungsketten) das Ziel gestellt, die Zahl der Schulabgänger*innen ohne Schulabschluss zu verringern und den Anteil der Jugendlichen, die eine Ausbildung erfolgreich abschließen, zu erhöhen. Hierfür soll die „Landesstrategie Berufsorientierung“ „strukturell optimiert“ werden. Ein Ziel, das ich auch aus den ersten Anstrichen des CDU-Antrages herauslese, und wo wir uns durchaus treffen können.
Leider ist das Niveau der Berufsorientierung an den Thüringer Schulen sehr unterschiedlich: es gibt einerseits sehr gute Beispiele, mit festen Kooperationen mit ortsnahen Unternehmen und vielen Möglichkeiten für die Schüler*innen, sich auszuprobieren. Aber es gibt auch Schulen, an denen in diesem Bereich immer noch viel zu wenig passiert.
Eine Möglichkeit dem abzuhelfen wäre vielleicht die Berufsorientierung im Zuge der aktuell vorgesehenen Novellierung des Thüringer Schulgesetzes als verbindliche Aufgabe für alle allgemeinbildenden Schulformen festzuschreiben und die Berufsorientierung damit landesweit qualitativ und quantitativ nachhaltig zu sichern, wie es u. a. der Landesausschuss für Berufsbildung (LAB) vorschlägt.
Es gibt jedoch noch ein anderes Problem: Im Jahr 2020 endet die gegenwärtige ESF-Förderperiode. Es ist davon auszugehen, dass Thüringen nicht mehr zu den Vorranggebieten der Förderung gehören wird und dass in diesem Zusammenhang die Finanzierung der Berufsorientierung umgestellt werden muss. Diese notwendige Neuordnung sollte aus unserer Sicht Anlass sein, zu diskutieren und zu entscheiden, in welcher strukturellen und inhaltlichen Form sowohl die Berufsorientierung an den Schulen als auch die am Übergang ansetzenden Hilfen über die ESF-Förderperiode bis 2020 hinaus in der Fläche neu organisiert werden sollen.
Hilfen beim Übergang
Denn was die Hilfen beim Übergang von Schule in Ausbildung angeht, die die CDU in ihrem Antrag leider nicht beachtet hat, so sieht meine Fraktion hier ebenfalls Handlungsbedarf. In Thüringen sind am Übergang von Schule und Ausbildung verschiedene Hilfen wirksam. Zu ihnen gehören Berufseinstiegsbegleiter, Übergangskoordinatoren, das Konzept Assistierte Ausbildung und das Projekt PraWo Plus.
Über Berufseinstiegsbegleiter, die im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildungsketten“ von der Bundesagentur gefördert werden, werden an 88 Schulen rund 840 Jugendliche betreut. Von den aus der ESF-Förderung finanzierten Übergangskoordinatoren werden ca. 1.500 Schüler*innen erreicht. Am Projekt PraWo Plus nehmen laut Bildungsministerium thüringenweit 30 Förderzentren und allgemeinbildende Schulen teil.
Um hier bessere und nachhaltigere Effekte zu erreichen, ist es notwendig, die vielen guten Ansätze in diesem Bereich stärker aufeinander abzustimmen und eine ausgewogenere regionale Verteilung zu schaffen.
Abschließende Würdigung des CDU-Antrags
Liebe Kolleg*innen, liebe Zuhörer*innen,
aus Sicht der Fraktion DIE LINKE geht der Antrag der CDU in einigen Fragen in die richtige Richtung – zur Berufsorientierung z.B. habe ich mich geäußert. Auch die Frage des Ausbaus von Praktika und die bessere Vernetzung von Schulen im Territorium sind Ansätze, die man weiter verfolgen sollte.
Im September vorigen Jahres gab es auf der Tagung der Koalitionsfraktionen „Focus Jugend“ im Workshop „Schule und Ausbildung“ eine lebhafte Diskussion, in welcher der Bedarf zur Verbesserung der Berufsorientierung vor allem an Gymnasien und insbesondere die Verstärkung von Einblicken in die duale Ausbildung deutlich wurde.
Aber andere Punkte des CDU-Antrages sind reine ideologische Motive. So will die CDU will in ihrem Antrag, dass in Schulen mehr für das „Unternehmertum“ geworben wird. Aber das geht doch komplett an der Lebensrealität der Schüler*innen vorbei. Die Wenigsten werden später eine eigene Firma gründen. Vielmehr ist es wahrscheinlicher, dass Arbeitnehmer*innen werden.
Wir halten es deshalb für sinnvoller, dass junge Menschen sich schon vor Beginn ihrer Berufsausbildung intensiv und kritisch mit der Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems auseinander setzen. Dazu gehören selbstverständlich auch Themen wie: Konfliktregelungen in der Ausbildung, betriebliche Mitbestimmung, Gewerkschaften und das Tarifvertragssystem.
Ob dagegen Unternehmensplanspiele und die Propaganda für den Beruf der Unternehmer*in geeignet sind, Kindern und Jugendlichen Lust auf eine berufliche Ausbildung zu machen, erscheint mir fragwürdig.
Aber auch darüber können wir gern eingehender im Ausschuss diskutieren. Daher bitte ich darum, diesen Antrag in den Ausschuss für Bildung Jugend und Sport zu überweisen.
Vielen Dank