"Es gibt keine drogenfreie Schule!"
Meine Rede im Plenum des Thüringer Landtages zum Antrag "Drogen- und Suchtprävention für Kinder und Jugendliche und an Thüringer Schulen stärken":
„Es gibt keine drogenfreie Schule“
(Herr Loyen, Landespolizeiinspektion Erfurt)
„[…] ein noch immer übliches Bild an Thüringer Schulen ist, dass vor und nach der Unterrichtszeit sowie […] in den Pausen rund um das Schulgelände herum geraucht wird.“
(Landesschülervertretung Thüringen)
„An illegale Drogen kommt man ganz leicht durch Dealer direkt vor der Schule“
(Jugendlicher aus Eisenach)
Dies sind Aussagen, welche uns während der Anhörung zu unserem Selbstbefassungsantrag erreichten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleg*innen,
liebe Zuschauer*innen auf der Besuchertribüne und am Livestream,
blicken wir der Realität ins Auge: die meisten Kinder und Jugendlichen haben bereits Erfahrung mit Alkohol, Nikotin und anderen Drogen gemacht. Oft wollen sie diese einfach nur ausprobieren und hören danach selbst wieder mit dem Konsum auf. Einige von ihnen aber beginnen regelmäßig Drogen zu konsumieren und dies hat dann körperliche, emotionale sowie soziale Folgen: Sie entwickeln gar eine Abhängigkeit und schaden sich selbst und anderen sehr stark.
Der Einstieg des Drogenkonsums im Kinder- und Jugendalter ist mit einer Vielzahl von negativen psychosozialen Konsequenzen verbunden: Alkoholkonsum wirkt sich z. B. auf alle Organsysteme sowie das zentrale Nervensystem aus und kann irreversible Schäden verursachen. Der Konsum von Cannabis in jungen Jahren kann die Entwicklung von psychischen Erkrankungen und psychotischer Symptome fördern.
Selbstverständlich gibt es für die Drogen- und Suchtprävention auf Bundes- sowie auf Landesebene bereits gesetzliche Grundlagen. Es geht also nicht um die Frage des „Ob“ sondern um die Frage des „Wie“ Präventionsmaßnahmen erfolgen sollen – also um deren Effektivität.
Ich denke, dass wir uns alle darin einig sind, dass die Drogen- und Suchtprävention vor allem im Bereich der Schule anzusiedeln ist. Denn Kinder und Jugendliche verbringen nun einmal den größten Zeitraum ihres außerfamiliären Lebens in der Schule. Schule ist eben nicht nur Bildungsort, sondern besitzt auch eine weitreichende Sozialisationsfunktion. Sie ist Ausgangspunkt für Kontakte und Aktivitäten und beeinflusst maßgeblich die biografische Entwicklung.
Aber, was genau macht eigentlich ein effektives Präventionsprogramm aus?
Noch in den 70er Jahren war die Suchtprävention zum großen Teil dem Konzept der Aufklärung durch reine Wissensvermittlung und Abschreckung verpflichtet. In Schulen wurden beispielsweise Broschüren über die Gefahren des Drogenkonsums verteilt, im Biologieunterricht angsteinflößende Filme über die möglichen gesundheitlichen Konsequenzen des Rauchens gezeigt oder Polizeibeamte kamen mit einem sog. „Drogenkoffer“ in die Klasse und zeigten den Schüler*innen, wie verschiedene psychotrope Substanzen aussehen.
Durch Schilderung von Konsument*innen ist jedoch heute bekannt, dass verallgemeinernde Postulate oder dämonisch besetzte, verzerrte Darstellungen - etwa, dass Crystal-Konsum Menschen „rasend schnell zu Zombies macht“ oder dass dem Produkt zur Wirkungsverstärkung Batteriesäure oder Abflussreiniger zugefügt werde – dazu führen, dass Aussagen zur Gefährlichkeit von Drogen kategorisch als übertrieben abgelehnt werden. Konsument*innen berichteten, dass sie präventive Maßnahmen als zu stark auf „das Bild des kaputten Fixers“ zugeschnitten erlebt hätten.
Der erste Konsum findet gemäß ihrer Schilderungen meist in der Peergroup – also der Bezugsgruppe/Clique - statt und bringt dem Konsumierenden zunächst Anerkennung und eindrucksvolle Verbesserungen seiner Befindlichkeit – wie z. B. ein gesteigertes Selbstbewusstsein, das Durchtanzen der Nacht oder die Überwindung von Müdigkeit. Das Verschweigen von anfänglichen positiven Wirkungen benennen viele Konsument*innen als Fehler in der Kommunikation zu Drogen.
Präventionsprojekte, welche das Konzept der Abschreckung benutzen erweisen sich daher als wenig wirksam, oft haben sie sogar eine gegenteilige Wirkung.Dazu zählt auch der „Revolution Train“, welcher letztes Jahr auch an 8 Thüringer Orten gastierte. In den zu multimedialen Erlebnisräumen umgestalteten Zug-Wagons wird die scheinbare Lebenswelt von Suchtmittel konsumierenden Menschen dargestellt. So werden Szenen, wie z. B. der Zugriff einer Spezialeinheit unter Anwendung körperlicher Gewalt, Beschaffungskriminalität in Form von Prostitution oder schweren Raubüberfällen sowie die Darstellung einer stark verschmutzten und desolaten Wohnsituation von Drogenkonsumenten gezeigt. Dieser Ansatz erweist sich nicht nur als wenig wirksam, sondern gilt auch seit Jahrzehnten im Sinne einer gelingenden Suchtprävention als überholt. Es wird suggeriert, dass bei Drogenkonsum der Weg in die Kriminalität, in die Abhängigkeit bis in den Tod vorbestimmt ist. Die Gründe für den Konsum werden genauso außer Acht gelassen wie das Aufzeigen von frühzeitigen Hilfen.
Gute Präventionsmaßnahmen im Bereich der Drogen und Suchtprävention haben dagegen eine fließende Grenze zur Entwicklungsförderung und laufen über einen viel längeren Zeitraum mit einem viel größeren Umfang. Effektives, primärpräventives Bemühen zielt darauf ab, Schule so zu gestalten, dass die Schüler*innen sich wohl fühlen können und dass sie wichtige Impulse zur Persönlichkeitsentfaltung erhalten. Das Ziel ist es Risikofaktoren abzumildern und Schutzfaktoren zu stärken.
Zentrale Schutzfaktoren sind z. B.:
> positives Selbstwertgefühl
> Vertrauen in die Selbstwirksamkeit: Die Überzeugung wichtige Ereignisse selbst beeinflussen zu können -> deshalb ist ja auch die Mitbestimmung so wichtig
> Beziehungs- und Konfliktfähigkeit
> feste emotionale Bezugspersonen
> gutes soziales Netzwerk
> förderliches Klima in der Schule: überschaubare Unterrichtsstrukturen und angemessene Anforderungen
Suchtprävention bedeutet also die Förderung der Lebenskompetenz bei gleichzeitiger Wissensvermittlung über psychoaktive Substanzen, Suchtmechanismen sowie die Einflussnahme auf Rahmenbedingungen. Suchtprävention muss unter anderem auch als Anlass für Begegnung, für Auseinandersetzung mit sich selbst und mit dem Anderen, als „Beziehungsarbeit“ aufgefasst werden. Suchtprävention ist damit auch eine pädagogische Grundhaltung, die im wertschätzenden und respektvollem Umgang mit Schüler*innen aber auch mit Kolleginnen zum Ausdruck kommt.
Das Suchtpräventionsprogramm IPSY
Ein solches Suchtpräventionsprogramm ist IPSY, welches die Psychologin Prof. Dr. Karina Weichold von der FSU Jena mit ihrem Team entwickelt hat. IPSY ist eine Abkürzung und steht dafür, dass aus dem Zusammenspiel von Information und Psychosozialer Kompetenz, der Schutz erfolgt. Psychisch gestärkte, gut informierte Jugendliche rauchen weniger, trinken weniger Alkohol und konsumieren mit geringerer Wahrscheinlichkeit andere Drogen. Bei IPSY geht es nicht nur darum explizit vor Drogen zu warnen, sondern es werden auch die eigentlichen Ursachen für Drogenkonsum angegangen, indem Kompetenzen vermittelt werden, welche die Persönlichkeit stärken und den Jugendlichen helfen z. B. Einflüssen im Peerkontext zu widerstehen – also dem Gruppendruck stand zu halten.
Die Effekte werden noch dadurch verstärkt, dass das Programm über längeren Zeitraum (insgesamt 3 Jahre) in der Schule implementiert wird. Und es werden nicht nur Veränderungen der einzelnen Person sondern im gesamten Klassenverband angestrebt. Durch die Veränderung des Sozialverhaltens der Schüler*innen erfolgt gleichzeitig eine Verbesserung des Klassenklimas. Und damit geht IPSY genau das zentrale Problem an, was die Landeselternvertretung Thüringen in ihrer Stellungnahme beschrieben hat (ich zitiere): „Das soziale Umfeld steht in Zusammenhang mit dem Alkoholkonsum der Jugendlichen. Das Klima in der Klasse scheint relevantes Korrelat des Alkoholkonsum bei Kindern und Jugendlichen zu sein.“
Wir sind nun in Thüringen mit folgenden Problemstellungen konfrontiert:
1. Wie die Gesundheitsförderung und damit auch die Suchtprävention in Thüringen erfolgt, liegt zu einem großen Ausmaß bei den Schulen selbst. Diese jedoch sind konfrontiert mit einer wahrlichen Angebotsflut an Präventionsmaßnahmen. Häufig werden deshalb - der Einfachheit halber - Präventionsstrategien gewählt, die kurzfristig durch Externe implementiert werden können und mit geringen Aufwand und geringen Kosten verbunden sind. Dass diese aber oftmals wenig effektiv sind, habe ich eben erläutert.
2. Außerdem wissen wir relativ wenig über den aktuellen Drogenkonsum und die Suchtproblematiken von Thüringer Kinder und Jugendlichen. Die vorliegenden Daten sind nur begrenzt in der Lage, Rückschlüsse auf die aktuelle Situation zu erlauben, da sich diese auf die Kriminalitätsstatistiken beziehen und somit nur das Hellfeld des schwerwiegenden Konsums widergeben.
In Anbetracht dieser - im Rahmen der Anhörung des Selbstbefassungsantrages deutlich gewordenen Problematik - haben wir deshalb den nun vorliegenden Antrag verfasst.
1. Im Hinblick auf die großen Unterschiede der durchgeführten Präventionsmaßnamen in Thüringen brauchen wir dringend einheitliche Standards für die Präventionsarbeit sowie eine Vernetzung aller beteiligter Akteure. Zusätzlich bedarf es einer Befähigung der Lehrkräfte durch Aus-, Fort- und Weiterbildung in der Drogen- und Suchtprävention.
2. Außerdem benötigen wir endlich verlässliche, repräsentative Daten zur Verbreitung von Suchterkrankungen und Drogenkonsum unter Jugendlichen. So wie diese z. B. von der Stadt Frankfurt jährlich erhoben werden. Frankfurt veröffentlicht seit 2002 einen Monitoring-Bericht zu Drogentrends, welcher einen Überblick der Drogengebrauchssituation in der Stadt bietet und u.a. auf einer repräsentativen, klassengestützten Schüler*innenbefragung basiert.
Im Sinne einer effektiveren Drogen- und Suchtprävention für alle Kinder und Jugendlichen in Thüringen bitte ich Sie daher, diesem Antrag zuzustimmen.
Erlauben Sie mir bitte noch abschließend folgende Bemerkung:
Ein schulbasiertes Interventionsprogramm – wie z. B. IPSY – kann nur ein Teil einer umfassenden Drogenpräventionspolitik sein. Denn schulbasierte Intervention kann nur ein begrenztes Spektrum einschlägiger Risiko- und Schutzfaktoren für Drogenkonsum beeinflussen, nicht aber solche, die in der Familie, der Freizeit oder der weiterreichenden Gesellschaft liegen.
Und hier sind wir alle gefordert. Wir alle sollten einmal überprüfen, wie wir – gerade im öffentlichen Raum – mit Suchtmitteln umgehen.
Und es hilft dabei nichts, in illegal und legale Drogen zu unterscheiden, denn dies Unterteilung ist vollkommen willkürlich und sagt rein gar nichts über die Schädlichkeit einer Substanzen aus. Laut der Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) geht jeder 20. Todesfall auf Alkohol zurück. Damit sterben jedes Jahr mehr Menschen als durch Aids, Gewalt und Verkehrsunfälle zusammen.
Kollektive Besäufnisse unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege – Wie wir diese gerade jetzt in der Faschingszeit allerorts erleben können - sind der beste Beweis, dass Alkoholmissbrauch kein Problem einer Randgruppe ist - Alkohol ist die Gesellschaftsdroge schlechthin.
Raphael Gaßmann, der Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) beschreibt dies so (ich zitiere): "In Deutschland haben wir ein Konsumverhalten, das völlig unvernünftig ist, das kann eine Gesellschaft sich nur leisten, wenn sie das Problem herunterspielt. […] Als einzige von allen psychoaktiven Substanzen wird nur der Alkohol nicht geahndet […] Die deutsche Politik erlaubt, bewirbt und fördert ihn sogar.“
Vielleicht denken Sie am Wochenende einmal darüber nach.
Vielen Dank.